Bis jetzt wurde der Bundesrat als politische Institution noch nie genauer unter die Lupe genommen. «Das hat einerseits damit zu tun, dass es sehr schwierig ist, an Informationen zu kommen, was im Bundesratszimmer genau abläuft», erklärt Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaft. Von amtierenden Bundesrätinnen und Bundesräten erfahre man gar nichts. Und auch Alt-Bundesrätinnen und Alt-Bundesräte bräuchten viel Vertrauen, bis sie etwas aus dem Bundesratszimmer erzählen würden. «Andererseits hat es auch mit Paradigmen in den Sozialwissenschaften zu tun», so Vatter. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren diese geprägt von der Geschichte der «grossen Männer». Ab den 1960er Jahren hat man vermehrt die gesellschaftlichen Strukturen oder das Verhalten der Bevölkerung in den Mittelpunkt gerückt. Seit fünf bis zehn Jahren komme es nun aber zu einem Revival, die politische Elite wieder stärker ins Blickfeld zu rücken. «Man hat erkannt, dass es durchaus relevant ist, was einzelne Personen – einzelne Bundesrätinnen oder Bundesräte zum Beispiel – entscheiden», erklärt der Politikwissenschafter.
Herausgeforderte Institutionen
«Die Polarisierung des Parteiensystems, die Medialisierung und die Personalisierung der Politik verlangen dem politischen System und seinen Exponenten einiges ab – ganz abgesehen von der Pandemie, die zu einer extremen Verschiebung der Kompetenzen und Machtstrukturen geführt hat», erklärt Vatter. Die Schweiz sei wie kein anderes Land durch eine starke Machtteilung geprägt. «Von Stände-, National- und Bundesrat ist der Bundesrat die mächtigste Institution», so Vatter. Denn: «Der Bundesrat ist bei allen Phasen eines politischen Geschäfts – vom Initiieren eines Gesetzesentwurfs bis hin zu den Ausarbeitungen der Verordnungen – involviert, was ihm ein grosses Mass an Einflussnahme gibt», so Vatter. Ein Bundesrat kann zudem wichtige Schlüsselpositionen im Departement und in den Bundesämtern selber besetzen, was auch viel Einfluss bedeutet. Von den beiden Kammern ist ganz klar der Ständerat der stärkere und einflussreichere Rat, da er mehr Geschäfte zuerst berät und geschlossener auftritt. «Es ist etwas paradox, dass gerade die Kammer, die medial die grösste Aufmerksamkeit bekommt – der Nationalrat –, am wenigsten Einfluss hat», erläutert Vatter.