Hochwasserschäden im Fokus
Neues Web-Tool zeigt für jede Gemeinde mögliches Schadensausmass an

Nachhaltigkeit

Drohende Hochwasserschäden werden unterschätzt

Mögliche Hochwasserrisiken wurden in der Schweiz bis anhin unterschätzt. Gebiete, in denen nur eine geringe Hochwassergefährdung besteht, sind vielerorts dicht bebaut, deshalb fallen die möglichen Gebäudeschäden bei einem Ereignis in ihrer Summe viel stärker ins Gewicht als bisher angenommen. Das zeigt ein neues Online-Tool, das am Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern entwickelt wurde.

 

Vier von fünf Schweizer Gemeinden waren in den vergangenen 40 Jahren von Überschwemmungen betroffen. Das führte nicht nur zu Beeinträchtigungen bei der betroffenen Bevölkerung, sondern auch zu hohen Kosten. Viele Überschwemmungsgebiete sind heute mit Gebäuden und Infrastrukturanlagen aller Art überbaut, deshalb ist ein adäquater Schutz nötig, um grosse Schäden zu verhindern.

Wussten Sie, dass?

«Jede siebte Person wohnt in der Schweiz in einem von Hochwasser gefährdeten Gebäude.»

Ganzheitliche Sicht im Risikomanagement

Aus diesem Grund sind schweizweit für das ganze Siedlungsgebiet detaillierte Gefahrenkarten erstellt worden. Bloss: Diese Karten zeigen nur, wie häufig und wie intensiv Überschwemmungen sein können. Informationen darüber, was genau gefährdet ist, und wie hoch das Schadenausmass bei einem Hochwasser sein könnte, fehlen. «Für eine ganzheitliche Sicht im Risikomanagement sind solche Informationen aber zentral», sagt Margreth Keiler, die bis Februar 2021 als Professorin für Geomorphologie und Risiko an der Universität Bern und Co-Leiterin des Mobiliar Labs für Naturrisiken der Universität Bern tätig war und heute als Professorin an der Universität Innsbruck tätig ist sowie das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) als Direktorin leitet. Denn, so Keiler: «Geringe Gefährdung bedeutet nicht automatisch auch geringen Schaden.» Auch die Kantone und der Bund tragen dem Rechnung und erarbeiten deshalb vermehrt Risikoübersichten.

Dieses Video zeigt am Beispiel von Gemeinden, wie der Schadensimulator in der Praxis angewendet werden kann.

Schadensimulator zeigt mögliches Schadenausmass für jede Gemeinde

Das Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern unterstützt diese Bestrebungen für eine gesamtheitliche Sicht im Risikomanagement mit dem im Juni 2020 lancierten Schadensimulator (www.schadensimulator.ch). Dieses neue Webtool weist für jede Gemeinde der Schweiz aus, wie gross das mögliche Schadenausmass bei einem Hochwasser ist. Mit seiner Hilfe lässt sich zudem simulieren, wie sich das mögliche Schadenausmass in Zukunft verändern könnte, zum Beispiel wenn die bestehenden Bauzonen überbaut werden. Der Schadensimulator ist deshalb eine wichtige Entscheidungshilfe für Behörden, Planerinnen und Ingenieure.

Grosse Schäden trotz geringer Gefährdung

Auf dem Schadensimulator basierende Forschungsarbeiten des Mobiliar Labs für Naturrisiken belegen, dass mögliche Schäden in Gebieten, in denen nur eine geringe Hochwassergefährdung besteht (gelbe Zonen auf der Gefahrenkarte), massiv unterschätzt wurden. Der Grund: Zwar sind die Schäden bei einem einzelnen Gebäude gering, doch weil die gelben Zonen oftmals stark überbaut sind, ist die Gesamtschadensumme hier auch im Vergleich mit den stärker gefährdeten blauen und roten Zonen sehr hoch. Gerade die gelbe Gefahrenzone wird aber bis heute oft vernachlässigt, um Risiken zu reduzieren. So werden hier – im Gegensatz zur blauen Zone – in den meisten Kantonen beim Um- oder Neubau von Gebäuden von den Bauherren keine spezifischen Massnahmen gegen Hochwasser verlangt.

 

Dieses Video zeigt den Nutzen des Schadensimulators am Beispiel des Kantons Graubünden auf.

Dank Schutzmassnahmen an Gebäuden Schäden reduzieren

Die Forschungsarbeiten mit dem Schadensimulator zeigen auch, wie sich die bauliche Verdichtung auf die durch Hochwasser gefährdeten Werte auswirkt. Geht man davon aus, dass bis im Jahr 2040 schweizweit ein Drittel der verfügbaren Bauzonenreserven überbaut werden, könnten die gefährdeten Gebäudewerte um 5.3 Mrd. Franken zunehmen. Würden die verfügbaren Bauzonenreserven schweizweit sogar komplett überbaut, könnten die gefährdeten Gebäudewerte um 16.6 Mrd. Franken zunehmen.

Dieses Video zeigt, wie der Schadensimulator beitragen kann, den Objektschutz an bestehenden Gebäuden und an Neubauten zu optimieren.

Die höheren Schäden, die durch einen Anstieg der gefährdeten Gebäudewerte verursacht werden, lassen sich allerdings mit geeigneten Massnahmen begrenzen. «Angesichts des hohen möglichen Schadenausmasses wären Massnahmen auch bei einer geringen Hochwassergefährdung wichtig», erklärt Margreth Keiler. Sogenannte Objektschutzmassnahmen beispielsweise könnten schon mit tiefen Kosten eine grosse Wirkung erzielen. Solch kleine bauliche Anpassungen sind etwa erhöhte Türschwellen oder Lichtschächte, die verhindern, dass Wasser ins Gebäude eindringen kann. Soll das mögliche Schadenausmass entscheidend vermindert werden, reicht es allerdings nicht, nur bei Neubauten Objektschutzmassnahmen vorzuschreiben, betont Keiler: «Dann müssen sie zwingend auch an bestehenden Bauten realisiert werden.»

Vom Verstehen zum Handeln

Forschungsinitiative Hochwasserrisiko

Mit der «Forschungsinitiative Hochwasserrisiko - vom Verstehen zum Handeln» ergänzt das Mobiliar Lab für Naturrisiken die traditionelle Hochwasserforschung um den Schadenaspekt. Ziel der diversen Forschungsprojekte, die 2018 gestartet wurden, sind nicht zuletzt Entscheidungshilfen für das Hochwasserrisikomanagement zu schaffen.

Mobiliar Lab für Naturrisiken an der Universität Bern

Hochwasser, Sturm und Hagel im Fokus

Das Mobiliar Lab für Naturrisiken ist eine gemeinsame Forschungsinitiative des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern und der Mobiliar. Untersucht werden in erster Linie die an Hagel, Hochwasser und Sturm beteiligten Prozesse und die Schäden, die daraus entstehen. Das Mobiliar Lab arbeitet an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis und strebt Resultate mit hohem Nutzen für die Allgemeinheit an. Die Unterstützung durch die Mobiliar ist Teil des Gesellschaftsengagements der Mobiliar Genossenschaft. Gegründet wurde das Mobiliar Lab 2013, 2020 wurden die Zusammenarbeit um weitere vier Jahre verlängert.

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