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News von Chury
Prof. em. Dr. Kathrin Altwegg

«Kometen haben höchstwahrscheinlich grosse Mengen an organischen Verbindungen zur Erde gebracht.»

Materie und Universum

Erkenntnisse aus den Archiven des Sonnensystems

Das in Bern entwickelte und gebaute Massenspektrometer ROSINA hat im Rahmen der Rosetta-Mission von 2014 bis 2016 den Kometen Chury untersucht. 2020 sind mehrere Studien erschienen, die auf ROSINA-Daten basieren und die neue Erkenntnisse zum Kometen und zur Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems liefern.

 

Kometen sind Objekte, die sich seit der Entstehung der Planeten nur wenig entwickelt haben. So sind sie in gewisser Weise die Archive des Sonnensystems, und die Bestimmung ihrer Zusammensetzung könnte auch zu einem besseren Verständnis der Entstehung der Planeten beitragen.

Die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumbehörde ESA hat den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, kurz Chury, während mehr als zwei Jahren im Detail untersucht (siehe Infobox). Eines der Experimente der Mission war das Massenspektrometer ROSINA (Rosetta Orbiter Spektrometer für Ionen- und Neutralgasanalyse), das unter der Federführung der Universität Bern entwickelt, gebaut und getestet wurde und dessen Daten immer noch ausgewertet werden.

Die interstellare Reise eines Grundbausteins des Lebens

Phosphor gehört zu den Grundbausteinen des Lebens und ist unter anderem in der DNA und in den Zellmembranen vorhanden. Nicht geklärt war bis jetzt jedoch, wie Phosphor auf die Erde gelangte, als hier vor 4 Milliarden Jahren Leben entstand.

Erstmals konnten Forschende unter Beteiligung der Universität Bern zeigen, dass sich phosphorhaltige Moleküle wie etwa Phosphormonoxid in den Entstehungsgebieten von Sternen bilden und wohl mit Kometen auf die Erde gelangten. Um die interstellare Reise des Phosphormonoxids zu verfolgen, kombinierten Forschende Daten des Berner Massenspektrometers ROSINA mit Daten des Riesenteleskop Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array ALMA, das auf der Hochebene Chajnantor in der chilenischen Atacama-Wüste von der Europäische Südsternwarte ESO betrieben wird.

Kathrin Altwegg, die leitende Forscherin von ROSINA und Ko-Autorin Studie, die im Januar 2020 publiziert wurde, erklärt: «Kometen haben höchstwahrscheinlich grosse Mengen an organischen Verbindungen zur Erde gebracht. Die Dokumentation der Reise von Phosphormonoxid stärkt diese Verbindung zwischen Kometen und dem Leben auf der Erde».

Wussten Sie, dass?

«1975 wurde die Europäische Weltraumorganisation ESA gegründet, in der die beteiligten Staaten ihre Aktivitäten bündelten und koordinierten. Die Schweiz gehörte zu den zehn Gründungsmitgliedern der ESA; diese besteht heute aus 22 Mitgliedsstaaten.»

Flug durch die Staubwolke des Kometen 

Eine weiter Studie, die auf Daten von ROSINA basiert und die ebenfalls im Januar 2020 publiziert wurde, hat eine Erklärung gefunden, warum in der nebulösen Hülle von Kometen bislang wenig Stickstoff nachgewiesen werden konnte: Der Lebensbaustein tritt zu einem grossen Teil in Form von Ammonium-Salzen auf, deren Vorkommen man bisher nicht messen konnte. 

Weniger als einen Monat vor Ende der Rosetta-Mission befand sich die Raumsonde nur 1,9 Kilometer über der Oberfläche von Chury, als sie durch eine Staubwolke des Kometen flog. Dies führte zu einem direkten Einschlag von Staub in die Ionenquelle von ROSINA. Dank dieses Flugs konnten Substanzen festgestellt werden, die vorher noch nie gemessen werden konnten. Insbesondere war die Häufigkeit von Ammoniak, der chemischen Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff mit der Formel NH3, plötzlich um ein Vielfaches grösser. «Als Salz hat Ammoniak eine viel höhere Verdampfungstemperatur als das Eis und ist deshalb in der kalten Umgebung des Kometen meist in der festen Form vorhanden», erklärt Katrin Altwegg. 

Unter den entdeckten Ammoniumsalzen sind einige astrobiologisch relevante Moleküle, die zum Aufbau von Harnsäure, Aminosäuren, Adenin und Nukleotiden führen können. Kathrin Altwegg sagt: «Dies ist durchaus ein weiterer Hinweis, dass Kometeneinschläge mit der Entstehung von Leben auf der Erde verknüpft sein könnten.»

Polarlichter des Kometen

Im September 2020 erschien eine Studie, die unter anderem dank der Daten von ROSINA ein weiteres faszinierendes Phänomen bei Chury beschreibt.

Auf der Erde bringt die als Polarlicht bekannte Leuchterscheinung Aurora die Menschen zum Staunen. Ein internationales Konsortium mit Beteiligung der Universität Bern hat nun bei Chury ebenfalls solche Aurora entdeckt – im ultravioletten Wellenlängenbereich.

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Die Animation zeigt die wichtigsten Phasen des Mechanismus, durch den Churys ultraviolette Aurora erzeugt wird © ESA (spacecraft: ESA/ATG medialab)

Die Forschenden konnten nachweisen, dass im Fall von Chury Sonnenwind-Elektronen zum Kometen hin beschleunigt werden und dort auf das Gas in der Koma – der Gashülle des Kometen – treffen. «Da dieser Prozess sehr energiereich ist, ist auch das daraus resultierende Leuchten energiereich und daher im ultravioletten Bereich, der für das menschliche Auge unsichtbar ist», erklärt Martin Rubin, Mitautor der Studie vom Physikalischen Institut. Diese UV-Emissionen waren zwar bereits früher bei Chury beobachtet worden. Damals hatte man aber fälschlicherweise angenommen, dass diese Emissionen durch Teilchen des Sonnenlichts, sogenannte Photonen, verursacht werden und eben nicht durch Sonnenwind-Elektronen, wie die aktuelle Studie zeigen konnte.

«Die Analyse war kompliziert und bedurfte Daten verschiedener Instrumente, so unter anderem von ROSINA», erklärt Kathrin Altwegg. Die Studie sei ein Beleg dafür, dass unser Verständnis vertieft und neue Erkenntnisse gewonnen werden können, wenn Daten verschiedener Teams, Instrumente und Computermodelle herangezogen werden. Und dies auch Jahre nach dem Ende der aktiven Phase der Rosetta-Mission im Jahr 2016.

Rosetta-Mission

Die Rosetta-Mission der Europäischen Weltraumbehörde ESA hat den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, kurz Chury, während mehr als zwei Jahren im Detail untersucht. Am 30. September 2016 ging mit dem kontrollierten Absturz der Sonde auf der Oberfläche des Kometen die aktive Phase der Rosetta-Mission zu Ende. Eines der Experimente der Mission war das Massenspektrometer ROSINA (Rosetta Orbiter Spektrometer für Ionen- und Neutralgasanalyse), das unter der Federführung der Universität Bern entwickelt, gebaut und getestet wurde. Es produzierte über 2 Millionen Datensätze, die immer noch ausgewertet werden. Dank Daten von ROSINA konnten viele Bestandteile der Atmosphäre von Chury nachgewiesen werden, ein Grossteil davon sogar zum ersten Mal. Da dadurch gewann man neue Erkenntnisse zur Entstehung unseres Sonnensystems.

Berner Weltraumforschung: Seit der ersten Mondlandung an der Weltspitze

Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant, gebaut und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.

Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei. In Zahlen ergibt dies eine stattliche Bilanz: 25mal flogen Instrumente mit Raketen in die obere Atmosphäre und Ionosphäre (1967-1993), 9mal auf Ballonflügen in die Stratosphäre (1991-2008), über 30 Instrumente flogen auf Raumsonden mit, und mit CHEOPS teilt die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission.

Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

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