Materie und Universum
Der weltgrösste Teilchenbeschleuniger LHC am CERN erhält ein grosses Upgrade. Ab 2027 wird er ein Vielfaches der bisherigen Anzahl an Teilchenkollisionen erzeugen können. Berner Forschende arbeiten daran, den Teilchendetektor ATLAS für diese neue Herausforderung fit zu machen und beteiligen sich an der Suche nach der «neuen Physik».
Der Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf ist der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt. Er wird dazu eingesetzt, Protonen (Bausteine von Atomen) auf annähernd Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen und anschliessend aufeinander prallen zu lassen. Diese Protonenkollisionen setzen eine riesige Menge an Energie frei, mit der neue Teilchen entstehen können. So können auch die ersten Momente nach dem Urknall nachgestellt werden. Die Kollisionen sind somit für Forschende von grossem Interesse zur Erforschung der Elementarteilchen, der Dunklen Materie, der Antimaterie und anderer Geheimnisse des Universums.
Von entscheidender Bedeutung bei der Suche nach Elementarteilchen sind die sogenannten Teilchendetektoren. Sie zeichnen die Teilchen auf, die in den Kollisionen entstanden sind. Die Daten dieser Detektoren geben also Aufschluss darüber, welche Teilchen entstanden sind, und ob darunter vielleicht sogar ein noch unbekanntes ist. Der grösste Teilchendetektor am LHC ist ATLAS. Die Universität Bern war Gründungsmitglied des ATLAS-Experiments und ist mit dem Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC) und dem Laboratorium für Hochenergiephysik (LHEP) nach wie vor massgeblich an dessen Betrieb und Weiterentwicklung beteiligt.
«2012 wurde mit dem ATLAS-Detektor das lange gesuchte ‘Gottesteilchen’, das Higgs-Boson, nachgewiesen. Berner Forschende leisteten massgebliche Beiträge zur Auswahl der Kollisions-Ereignisse, zu deren Aufzeichnung und Analyse. Die Entdeckung des Higgs-Bosons wurde 2013 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.»
Seit 2018 ist der LHC für Aufrüstungs- und Wartungsarbeiten abgeschaltet. 2021 wird er wieder hochgefahren für einen letzten «Run», bevor er dann zwischen 2025 und 2027 erneut erweitert wird. Bei diesem grossen Upgrade unter dem Namen High Luminosity LHC (HiLumi) wird die Leistung des Beschleunigers stark verbessert, indem die sogenannte Luminosität erhöht wird. Die Luminosität, ein Mass für die Anzahl potenzieller Kollisionen pro Oberflächeneinheit über einen bestimmten Zeitraum, ist ein wesentlicher Indikator für die Leistung eines Beschleunigers. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer einzigen Proton-Proton-Kollision ein bisher unbekanntes Elementarteilchen entsteht, ist sehr gering. Deshalb wird eine sehr grosse Menge an Kollisionen und den entsprechenden Daten benötigt, um irgendwann ein solches zu entdecken. Mit zunehmender Luminosität werden also mehr Daten produziert, was die Chancen erhöht, seltene neue Phänomene zu beobachten. HiLumi wird die Anzahl der Kollisionen um einen Faktor zwischen fünf und sieben erhöhen.
Das Upgrade, das aus dem LHC den HL-LHC macht.
Um mit der Leistungssteigerung des Beschleunigers schritthalten zu können, muss auch das ATLAS-Detektor aufgerüstet werden. «Der ganze innere Detektor wird ersetzt», erklärt Michele Weber, Direktor des Laboratoriums für Hochenergiephysik (LHEP) und Leiter der Berner ATLAS-Gruppe. Die höhere Anzahl Kollisionen bedeutet, dass die inneren Detektoren von ATLAS viel hochauflösender und auch strahlungsresistenter sein müssen – und das für eine Laufzeit von 15 bis 20 Jahren. «Wir sind beim HiLumi-Upgrade stark involviert in die Entwicklung der neuen innersten Detektoren, ganz nahe bei der Kollision. Dort zeichnet man die Spuren der geladenen Teilchen auf, und wir wollen so genau wie möglich wissen, wo sich die Kollision ereignet hat», sagt Michele Weber. Auch im Umgang mit der enormen Datenmenge, die der High Luminosity LHC produzieren wird, kann man sich am CERN auf das Knowhow der Universität Bern verlassen. «Das Auslesen der Daten mit optischen Fasern gehört zu unseren Spezialgebieten», so Weber.
«Die Frage ist, wo sind die neuen Elementarteilchen? Sie können gleich um die Ecke sein, oder aber noch sehr weit weg. Aber wenn man nicht sucht, findet man auch nichts.»
Prof. Dr. Michele Weber, Laboratorium für Hochenergiephysik (LHEP), Universität Bern
Am LHEP ist man auf Kurs für das Upgrade am LHC. «Wir haben mehrere Jahre in die Entwicklung der neuen Sensoren gesteckt, diese Phase ist nun abgeschlossen. Bei gewissen Teilen haben wir bereits mit dem Bau begonnen, der drei bis vier Jahre dauern wird. Es geht nun darum, den Bau voranzutreiben, Prototypen zu testen und dann alles zusammenzubauen», erklärt Michele Weber.
Was erhofft man sich vom Upgrade am LHC? «Das Ziel ist nach wie vor, neue Elementarteilchen zu finden», erklärt Michele Weber. «Wir haben das Standardmodell der Teilchen-Physik. Es beschreibt die bekannten Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen ausserordentlich gut. Wir wissen aber auch, dass dieses Standardmodell nicht die ganze Physik erklären kann.» Es gebe noch viele physikalische Elemente, die nicht mit dem Standardmodell in Einklang gebracht werden können, darunter etwa die Gravitation oder die Dunkle Materie.
«Um die Lücken zu schliessen, ist zum Beispiel die Supersymetrie als Theorie spannend», so Weber. Die Supersymetrie sagt zu allen bereits bekannten Teilchen eine supersymetrische Welt mit neuen Teilchen voraus. «Die Frage ist, wo sind die neuen Elementarteilchen? Sie können gleich um die Ecke sein, oder aber noch sehr weit weg. Aber wenn man nicht sucht, findet man auch nichts. HiLumi vergrössert die Chancen, dass wir mit ATLAS neue Teilchen und somit die neue Physik finden.»